Mittwoch, 14. Dezember 2016

Starke Kinder?

Immer wieder ist es ja überall zu lesen. Kinder werden nur stark, wenn man sie lässt. Die damit verbundene Botschaft ist so einfach wie klar. lass dein Kind doch einfach mal selbst machen.

So einfach ist das aber gar nicht, wie ich immer wieder feststelle. Eltern, die ihre Kinder vor allem behüten und zu bewahren versuchen, nennt man nicht mehr fürsorglich, sondern Helikoptereltern, die ihre Kinder vor dem Leben mit seinen vielfältigen Erfahrungen fern halten. Ich mag solche Begriffe nicht. Sie schaffen Ausgrenzung und bewerten unnötiger Weise. Eltern, die sich so verhalten, handeln aus der fürsorglichen Absicht heraus, ihre Kinder zu schützen. Mit Abstand betrachtet, könnte man es als fehl geleiteten Instinkten erklären.
In einem kleinen Tiervideo einer Eisbärmama (im Zoo!) wird gezeigt, wie Diese ihrem kleinen Eisbärkind bei seinem Tun hilft - sie stützt es genauso lange, bis das Kind alleine heraus zu klettern schafft. Sie gibt ihm keine guten Ratschläge, wie es nun am besten klettern soll oder ob es überhaupt sinnvoll ist, jetzt rauszukletter...sie steht nur da und unterstützt, solange ihre Hilfe erforderlich ist. In dem Moment lässt sie es los, dreht sich um und geht weg. Das Eisbärenkind wird in seiner Kompetenz nicht in Frage gestellt. Genau solche Erfahrungen brauchen unsere Menschenkinder auch: eine liebevolle Begleitung, Unterstützung im Sinne Maria Montessoris: "Hilf mir, es selbst  zu tun!". Die Hand, die beim Klettern stützt. Sie schiebt nicht, gibt keine guten Tipps und mischt sich nicht mit ihrem eigenen Willen ein - sie ist einfach da und stützt...lässt das Kind selbst machen. Sobald klar ist, dass das Kind es schafft, zieht sie sich zurück und zeigt ihrem Kind: ich weiß, dass du es schaffst. Du brauchst mich jetzt nicht mehr. Genau das richtige Signal zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Die Eisbärmama bewahrt ihr Kind also nicht vor Erfahrungen, sondern sie begleitet sie - nur so lange, wie nötig. Sie ist also keine Helikoptermama ;-)

Mir scheint, dass wir in unserer leistungsorientierten Gesellschaft den Blick nur noch auf das Ziel legen und den Weg dahin zu vergessen scheinen. Dabei ist der Weg die einzige Möglichkeit überhaupt an ein Ziel zu gelangen!

Dabei geben wir Erwachsene viel zu oft nicht nur das Ziel vor, sondern auch den Weg dahin!

Die ersten Lebensjahre eines Menschen prägen, wie wir an das Leben heran gehen. Immer wieder stelle ich fest, dass Eltern in ihrer vermeintlichen Fürsorge Kinder von ganz vielem abhalten. Wo können Kinder noch frei und ohne Aufsicht spielen und sich außerhalb des Einflusses von Erwachsenen aufhalten. Das findet heute kaum noch statt. Kinder werden bis zum Umfallen gefördert mit allen möglichen Kursen und Unterrichten, lange bevor sie zur Schule gehen.... das freie Spiel - ohne irgend ein Hilfsmittel, eine App o.ä. - und vor allem - ohne jede Absicht gibt es nicht mehr.
Aus dem Bedürfnis der guten Vor- und Fürsorge heraus werden Kinder schon therapiert, bevor sie überhaupt eine Chance hatten, etwas selbst zu tun. Die Meßlatte wird immer früher immer höher gelegt...d.h. alleine kann ein Kind das kaum noch schaffen. Deswegen wird ja therapiert und gefördert.
Psychologisch betrachtet, erlebt ein Kind also von Geburt an sein Unvermögen ohne Ausweg! Bevor es überhaupt selbst die Erfahrung macht, etwas nicht zu schaffen (und ob und wofür es das überhaupt schaffen will), wird es schon behandelt.

In den Schwimmkursen erlebe ich den Bruch besonders krass: heutzutage kann eine erschreckende Zahl von Kindern nicht mehr schwimmen, wenn sie eingeschult werden. Gleichzeitig hat ein hoher Prozentsatz dieser Kinder bereits Babyschwimmkurse und Kleinkindschwimmkurse besucht.
Warum können also so wenige Kinder schwimmen?

Mein Erklärungsansatz und Erfahrung ist hier sehr eindeutig: weil sie es nie erfahren haben!
In den meisten Babyschwimmkursen werden Kinder nur besungen und mit dieser Gruppensingerei entertaint. Bisschen Wassergießen, bunte Bälle und gut ist. Das Tauchen wird mehr oder weniger gut hinter sich gebracht - auch abgehakt.
Als nächstes Highlight wird ihm ein Schwimmflügel umgebunden, damit es sich nun "frei" bewegen kann. Frei???
Wo liegt in einem solchen Kurs ein Sinn? Was kann ein Kind hier wirklich erfahren? In meiner langjährigen Erfahrung habe ich noch kein einziges Kind erlebt, das aus einem solchen Kursprogramm zu unserem Konzept gewechselt hat, das irgend eine eigene Kompetenz erwerben durfte. Die Kinder können in ihren Schwimmflügeln durchs Wasser paddeln. Es fehlt ihnen jedes Bewußtsein darüber, dass sie ohne das Auftriebsmittel untergehen wie ein Stein. Ist das eine förderungswürdige Erfahrung? Ist das "kindgerecht"?

Dabei bietet das Wasser einen so immens vielfältigen Erlebnisraum mit so vielen Möglichkeiten und Herausforderungen, an denen sich das Kind eigenständig entwickeln und wachsen kann. Selbst-bewusst werden kann. Kompetent!

Statt dessen wird das Kind entmündigt, klein gehalten, bespielt und bespaßt und alles, aber wirklich alles - jeder Schritt, jedes Fingerkrümmen wird ihm dabei vorgegeben oder abgenommen. Es wird von A nach B getragen, gequatscht, geschoben und gehoben.

Ab dem Augenblick, wo das Kind zur Schule kommt, beginnt der "Ernst des Lebens",  Denn nun wird erwartet, dass das Kind funktioniert. Leider steht es nun aber am Beckenrand und kann nicht schwimmen. (Dabei werden unsagbar viele Kurse angeboten, die Kinderschwimmkurse ab einem immer früheren Einstiegsalter anbieten....). Mit Messer und Gabel essen, eine Schleife binden, aus einer Flasche eingiessen...die Liste kann beliebig fortgesetzt werden. Alles Fehlanzeige.
Auf einmal soll das Kind, das bis hierin nur verwaltet wurde, selbst leisten. Am besten alles auf Knopfdruck.
Aber wo und wann war die Zeit, in der das Kind selbst herausfinden durfte, experimentieren durfte, unbeaufsichtigt - ohne "gute" Ratschläge der Erwachsenen - selbst entscheiden durfte, WAS und vor allem WANN es etwas interessant findet, herausfinden will?

Ganz offen und salopp gesagt: erst halten wir sie für blöd und behandeln sie blöd und dann wundern wir uns, wenn sie blöd werden????

Wann steigen wir aus?

Nachdenkliche Grüße
Deva Doege


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